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Konzeption und Wandel – Breslauer Beschlüsse

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2.2. Breslauer Beschlüsse

Die verstärkten publizistischen Tätigkeiten der Separatisten beunruhigten den Breslauer Volksrat, der die Abspaltung Oberschlesiens von Preußen vor dem 1.Januar 1919 befürchtete, da an diesem Tag der Hoffmansche Religionserlaß in Kraft treten sollte. Die Vertreter des Rates trafen sich in Berlin mit der preußischen Regierung, um gemeinsam über eine Lösung der oberschlesischen Frage zu diskutieren. Man beschloß die Aufhebung der Hoffmanschen Erlasse. Außerdem einigte man sich darüber, direkte Gespräche mit dem Zentrum aufzunehmen.

Am 30. Dezember 1918 fand in Breslau eine Konferenz des Provinzialaus-schusses statt, an der u.a. der preußische Innenminister Paul Hirsch teilnahm. Auf der Seite der Autonomisten nahmen an dieser Konferenz Ewald Latacz und Thomas Reginek teil. Sie betonten, daß Preußen seine Politik Oberschlesien gegenüber ändern müsse, weil sie ein Grund dafür sei, daß so viele Oberschlesier für den Anschluß an Polen seien. Man müsse die Eigenartigkeit dieser Region respektieren. Das solle sich unter anderem in der Einführung der zweiten – polnischen – Amtssprache widerspiegeln. Latacz betonte, er sei ein Gegner von jeglichem Separatismus, aber eine weitgehende Autonomie für Oberschlesien sei zu dieser Zeit die einzige Möglichkeit, dieses Land dem Deutschtum zu erhalten. Er sagte auch, daß die Oberschlesier ein Mischvolk seien, das „eine gewisse Internationalität“ besitzt und das „seine Nationalität bereits überwunden“39 hat.

Die Vertreter der Regierung und des Volksrates lehnten aber die Forderungen nach einer Selbständigkeit Oberschlesiens ab. Man befürchtete, daß die Losreißung Oberschlesiens andere preußische Provinzen zu demselben Schritt bewegen könnte (z.B.: das Rheinland). Man war sich aber auch sicher, daß Oberschlesien mehr Selbstverwaltung bekommen müsse. Als Kompromiß zwischen dem Wunsch nach Autonomie und den Vertretern der preußischen Regierung wurden die Breslauer Beschlüsse verabschiedet.40 Die wichtigen Stellen in Oberschlesien sollten von zweisprachigen Oberschlesiern besetzt werden. Obwohl die Hoffmanschen Erlasse in Oberschlesien aufgehoben wurden, betonte man nochmals, daß die Verhältnisse zwischen Kirche und Staat nur unter der Berücksichtigung der oberschlesischen Kirche und auf Wunsch der Oberschlesier geändert werden könnten. Man sah auch die Möglichkeit eines Religions-unterrichts in der Muttersprache, aber die Forderung nach einer zweiten Amtssprache wurde nicht berücksichtigt. Außerdem sollte beim Zentralamt eine Abteilung für Oberschlesien geschaffen werden. Auch ein fürstbischöflicher Stuhl sollte im Industriegebiet errichtet werden.

Am 4. Januar 1919 wurden die Breslauer Beschlüsse durch die preußische Landesregierung angenommen. Vorher nahm man jedoch ein paar wesentliche Änderungen vor. Die Kanditaten für die wichtigen Stellen in Oberschlesien mußten die polnische Sprache nicht beherrschen. Die Forderungen nach einem Kommissar für Oberschlesien beim Zentralamt sowie nach einem fürstbischöflichen Stuhl für Oberschlesien wurden auch ignoriert.41

Die Nichtbeachtung dieser Forderungen war bestimmt auch eine der Ursachen für die Gründung des separatistischen „Bund der Oberschlesier – Związek Górnoślązaków” Anfang Januar1919 in Beuthen.

Die preußische Regierung verstieß aber sogar gegen die korrigierten Breslauer Beschlüsse. Zwar wurde ein gebürtiger Oberschlesier, Joseph Bitta, zum Regierungsoberpräsidenten von Oppeln bestimmt, doch der Posten des Reichs- und Staatskommissars wurde dem in Ostpreußen geborenen Protestanten Friedrich Otto Hörsing verliehen, welcher Mitglied der Sozial-demokratischen Partei war.42 Dieser regierte in Oberschlesien mit starker Hand und hatte keine Sympathien bei der katholischen Bevölkerung erringen können.

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