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Konzeption und Wandel des Autonomiegedankens

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2.1. Konferenz in Kandrzin

Nach dem für Deutschland verlorenen Krieg war die Zukunft Oberschlesiens ungewiß. Die wiedergegründeten Staaten Polen und Tschechoslowakei stellten Ansprüche auf Oberschlesien. Die Situation in Deutschland war sehr ernst, es tobte die Novemberrevolution. Das führte zum Aufschwung der autonomen Bestrebungen mancher Oberschlesier. In Tarnowitz wurde Anfang Dezember 1918 ein Flugblatt betitelt mit „Schlesien eigene Republik“34 herausgegeben, in dem man einen autonomen Bundesstaat mit polnischer und deutscher Amtssprache, innerhalb des Deutschen Reiches forderte. Man betonte auch die Einheit von Kirche und Staat.

Die autonomen Bestrebungen fanden auch positiven Anklang beim größten Teil der oberschlesischen Zentrumspartei. Diese betonte stets die Forderungen nach größerer Provinzselbstverwaltung in dieser Region. Diese Forderungen gingen aber niemals soweit wie am Ende des Jahres 1918. Dies war auch durch die Erlasse des preußischen Kultusminister Adolf Hoffman, der die Trennung von Kirche und Staat sowie die Laizisierung des Schulwesens forderte35, bedingt. Die Zentrumspartei, zu der sowohl deutschsprachige als auch polnischsprechende Katholiken gehörten und welche die populärste Partei in Oberschlesien war, sah dadurch ihre Position in Oberschlesien gefährdet. Sie fürchtete, daß langsam man durch die Erlasse dieses sozialistischen Ministers die Hegemonie verlieren werde.

Am 9. Dezember 1918 fand in Kandrzin die Parteikonferenz des Zentrums statt. In derselben Zeit wurden in Oberschlesien Flugblätter verteilt (u.a. in Eisenbahnzügen), in denen man die Oberschlesier zu überzeugen versuchte, „die politische-soziale und wirtschaftliche Führung ihrer Heimat in die eigene Hand zu nehmen“36. Die Oberschlesier sollten endlich Herr im eigenen Haus werden und auch von dem Reichtum der Bodenschätze Oberschlesiens profitieren.

Auch die Mehrheit der Teilnehmer an der Kandrziner Konferenz hielt die Gründung eines selbständigen oberschlesischen Freistaates für das geeignetste Mittel, um die Angliederung Oberschlesiens an Polen oder an die Tschechoslowakei zu verhindern und um die Interessen des katholischen Klerus und damit der eigenen Partei vor dem sozialistischen Berlin zu sichern. Sie waren aber zugleich der Meinung, daß die Proklamation eines solchen Staates gewisse Vorbereitungen erfordere. Zuerst müsse man eine Reise nach Prag unternehmen, um den tschechischen Präsidenten Tomas Masaryk für diese Sache zu gewinnen. Dieser war an einem solchen Projekt interessiert, wollte aber keine Entscheidung treffen, bevor die Ententenstaaten sich darüber ausgesprochen hätten. Man kritisierte auch die preußische Politik, die die Oberschlesier zu Menschen der 2. Kategorie im eigenen Land mache.

In Kandrzin fand auch eine andere Konzeption, Oberschlesien betreffend, einen Kreis von Anhängern. Nach ihrer Meinung sollte Oberschlesien aus Preußen, dem gegenüber viele Oberschlesier Haß empfunden haben, ausgegliedert werden und sich als ein autonomer Bundesstaat innerhalb des Deutschen Reiches entwickeln. Man sah darin die einzige Möglichkeit, Oberschlesien dem deutschen Kulturkreis zu bewahren.37

Obwohl die Zentrumspartei während der Kandrziner Konferenz den Freistaat Oberschlesien nicht ausrief, unterstützte sie doch indirekt die separatistischen Bestrebungen in Oberschlesien. Mit einigen Zeitungen der Zentrumspartei wurden Flugblätter der Separatisten als Beilagen verteilt. Man druckte verschiedene Artikel, die einen neutralen selbständigen Freistaat Oberschlesien fordeten, wie z.B. die Broschüre „Oberschlesien – ein selbständiger Freistaat?“38. In dieser vierseitigen Broschüre zählte man großartige Perspektiven für die Bevölkerung des zukünftigen Freistaates Oberschlesien auf: der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung stünde nichts mehr im Wege. Die Verfasser seien vom Wohlstand dieser Region überzeugt. Oberschlesien könne sich zu einem reichen Land, wie die Schweiz, entwickeln. Man widmete auch der Religion und den Privilegien der katholischen Kirche, die im künftigen Freistaat Oberschlesien beibehalten werden sollten, sehr viel Aufmerksamkeit. Die Neutralität Oberschlesiens sollte von den drei Nachbarstaaten, Deutschland, Polen und die Tschechoslowakei, garantiert werden.

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