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Interview: ASSked – Nachgefragt

ASSked – Nachgefragt ist eine Publikation der Außen- und Sicherheitspolitischen Studienkreise e.V.

Experten und Zeitzeugen berichten aus ihren Fachbereichen und von ihren Erlebnissen. Das Interview-Magazin ASSked – Nachgefragt macht Außen- und Sicherheitspolitik menschlicher, greifbarer und direkter.

Hier können Sie das vollständige Interview als pdf-Dokument herunterladen.

Thema der Ausgabe III/2010: Initiative zur Autonomie Schlesiens
Interviewpartner: Robert Starosta, Vorsitzender

ASSked: Herr Starosta, sehen Sie sich als Europäer, Deutscher, Pole oder als Schlesier?
Starosta: Ich bin in Oppeln geboren, also ist meine Identität die der Oberschlesier. Zum anderen bin ich seit meinem achten Lebensjahr in Unterfranken aufgewachsen, was sehr prägend für mich war.

ASSked: Sie haben den gemeinnützigen Verein „Initiative der Autonomie Schlesiens e.V.“ gegründet. Was sind Ihre Ziele?
Starosta: Wir wollen Lobbyarbeit mit den Möglichkeiten, die Europa bietet für Schlesien betreiben. Schlesien ist als Europäische Kulturregion geographisch ein Brückenschlag zwischen Sachsen in der Bundesrepublik Deutschland, zur Republik Polen und nach Tschechien.

ASSked: In Berlin hat die Vereinseintragung nicht funktioniert. Man sagte Ihnen, dass Sie Abstand davon nehmen sollten. In Würzburg dagegen hatte Sie keinerlei Probleme den Verein registrieren zu lassen. Wie erklären Sie sich das?
Starosta: In Franken und Bayern pflegt man Heimatverbundenheit, Brauchtum und Tradition, respektiert Geschichte und Kultur. Seit der rot-grünen Bundesregierung und durch die Parteien der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz, Bündnis 90/Die Grünen, PDS, Die Linke und SPD in wechselnder Regierungsverantwortung im Berliner Senat, wurden die Verwaltungen auf Linie gebracht. Berlin ist der Sitz der Bundesregierung und in Berlin als Stadtstaat überkreuzt sich die Politik der political correctness, Gutmenschentums, Multikulti-Romantik und vorauseilendem Gehorsam. So erkläre ich mir das!

ASSked: Viele Schlesier kennen den Ausspruch „Nie Niemiec, nie Polak, Ślązak!“ [Übersetzung: Kein Deutscher, kein Pole, Schlesier!]. Braucht Schlesien eine Autonomie und wie begründen Sie eine derartige Forderung?
Starosta: Es gibt ein ziemliches schwarz-weiß Denken, entweder Deutscher oder Pole zu sein. Wir Schlesier bilden eine eigene kulturelle Ethnie, eine kulturelle Identität. Bis zum heutigen Tag gibt es eine Polonisierung in Oberschlesien, was einer Assimilierung gleichkommt. Nicht systematisch, aber sie findet statt. Die Vielfalt an schlesischer Kultur wird zurückgedrängt und soweit zusammengestutzt, dass wir es irgendwann im Freilichtmuseum oder Reservat wiederfinden.
Also warum sollen die Oberschlesier in der historischen Region, selbstverwaltend (autonom) ihre Kultur und Traditionen mit ihren Symbolen nicht ausleben dürfen? Ein autonomes Oberschlesien tastet weder rechtliche Grundlagen der Republik Polen, noch die Rechtsordnung Europas an. Man hört auch immer wieder den Ausspruch, das Schlesien die ungeliebte Tochter Polens ist.

ASSked: Was unterscheidet den Schlesier vom Polen und vom Deutschen?
Starosta: Es gibt eine ganz Reihe von Unterschieden. Schlesische Trachten, Feiertage, Festtage und Bräuche, der regionale schlesische Dialekt beziehungsweise die Mundart. Die schlesische Küche, eine regionale kulinarische Esskultur, deftige Küche wie auch Süßspeisen wie zum Beispiel das Schlesisches Himmelreich oder der Schlesischer Streuselkuchen.
Es gibt zahlreiche Persönlichkeiten, wie den Schriftsteller Joseph von Eichendorff, Horst Eckert, besser bekannt als Janosch, Bischof Alfons Nossol, den Regisseur Kazimierz Kutz und eine ganze Reihe von Nobelpreisträgern sowie Fußballspielern, die Schlesien hervorgebracht hat. Unser religiöser Wallfahrtsort ist der Sankt Annaberg und die Heilige Hedwig ist die Schutzpatronin Schlesiens.
Es ist eine eigene Kultur, Lebensart, Mentalität, Charakter und eigene Traditionen, die durch germanische und slawische Einflüsse geprägt wurden. Diese Region wurde über die Jahrhunderte hinweg durch das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen, durch die Habsburger, Preußen, Böhmen, Mähren, durchs Deutsche Reich und in den letzten Jahrzehnten durch Polen beeinflusst. Der jeweilige Herrschaftsanspruch hat seine Spuren und eine kulturelle Vielfalt hinterlassen.

ASSked: Sie fordern mit Ihrem Verein die Autonomie Schlesiens. Erwägen Sie als nächsten Schritt auch die Unabhängigkeit Schlesiens?
Starosta: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker und der einhergehender Nationalismus ist im heutigen zusammenwachsenden Europa fehl am Platz, somit sind jegliche Abspaltungstendenzen nicht gut zu heißen.
Die frühere Kleinstaaterei gehört der Vergangenheit an. National wie auch international. Das Kosovo, das sich einseitig für unabhängig erklärt hat, ist für Oberschlesien kein Vorbild. Diese Entscheidung ist zu bedauern und gleichzeitig zu verurteilen.
Eine völlige Loslösung fordern wir nicht. Ich kenne auch niemanden in verantwortlicher Position in der Schlesischen Autonomiebewegung, der das fordert.

ASSked: Nehmen wir an Schlesien würde autonom werden. Welche sozialen, kulturellen und politischen Ziele hätten Sie? Was würden Sie verändern?
Starosta: Bevor wir uns darüber unterhalten, sehe ich andere Herausforderungen. Obwohl es schlesische Universitäten, zum Beispiel in Kattowitz, Troppau und ebenso Fachhochschulen gibt, fehlt die schlesische Intelligenz, die Elite, die Oberschlesien führen kann. Es fehlen Juristen, Ökonomen, Ärzte, Ingenieure, Lehrer, Techniker, Handwerker, Unternehmer und andere Berufsgruppen, die für Arbeitsplätze und Wohlstand in der Region sorgen könnten. Menschen, die gut ausgebildet sind, die in ihrer Heimat bleiben und Verantwortung übernehmen. Es muss ein soziales und kulturelles Umfeld in einer selbstbewussten Atmosphäre geschaffen werden, in der sich die Autonomie erstreiten lässt.

ASSked: Sie fordern eine Autonomie Schlesiens in den Grenzen von Polen. Einige sagen, es ist in erster Linie eine „innerpolnische Angelegenheit“, aber das Thema an sich ist sehr delikat – besonders in Deutschland. Wie begegnen Sie Vorwürfen des Revanchismus oder Rechtsextremismus?
Starosta: Zuerst, wir bemühen uns um die Autonomie Schlesiens, also unabhängig der jetzigen Grenzen, aber unter der Prämisse der Souveränität der beteiligten Staaten. Schon heute existieren Nachbarschaftsprojekte, die grenzenübergreifend gebildet wurden. Als Beispiel gelten die sogenannten Euroregionen Pomerania (DE-PL), Neiße-Nisa-Nysa (DE-CZ-PL), Silesia (CZ-PL).
Den Vorwurf des Rechtsextremismus weise ich entschieden von mir und unserem Verein ab. Einen Hinweis darauf gebe ich auf unserer Internetseite. Heimatverbundenheit und Neonazis passen nicht zusammen. Die Oder-Neiße Grenze als Außengrenze der Bundesrepublik Deutschland stelle ich keinesfalls in Frage und die vermeintliche Einmischung in innerpolnische Angelegenheiten begreife ich als gegenseitigen Austausch in einem offenen Europa.

ASSked: Wenn wir an Schlesien denken, kommen uns als erstes die deutsche Minderheit, die Landsmannschaften und der Vertriebenenverband in den Sinn. Gibt es hier Gemeinsamkeiten und Kooperationen?
Starosta: Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir Kooperationen mit dem Bund der Vertriebenen oder der Landsmannschaft der Schlesier bilden. Gemeinsamkeiten gibt es durchaus. Ich verstehe allerdings unseren Verein jenseits des BdV und der Landsmannschaften. Es wäre auch verschwendete Energie, wenn wir nicht auf die deutsche Minderheit, die sozial-kulturelle Gesellschaft der Deutschen zugehen würden.

ASSked: Was bedeutet für Sie das „Europa der 100 Fahnen“ oder das „Europa der Regionen“?
Starosta: Das „Europa der Regionen“ heißt Vielfalt und Bereicherung, in Sprache, Kultur, Mentalität, Traditionen – und das schlägt sich in der Wirtschaft nieder. In den Bundesländern, Kantonen, autonomen Regionen und Regionen mit eigener Identität liegt die Kraft Europas, mit den jeweiligen Eigenarten, Charakteristika und Eigenwilligkeiten, auch grenzübergreifend.

ASSked: Einer Ihrer Kooperationspartner ist die „Ruch Autonomii Śląska“ (RAŚ) [Übersetzung: Bewegung für die Autonomie Schlesiens] – eine polnische Bewegung, die sich für die Selbstverwaltung Schlesiens einsetzt. Wie sieht die konkrete Zusammenarbeit aus und wo soll sie in Zukunft münden?
Starosta: Wir haben am 17. Oktober 2009, nach dem Marsz Jednosci (Einheitsmansch) in Oppeln, eine schriftliche Kooperationsvereinbarung beschlossen. Die gemeinsamen Ziele sind die Entwicklung und Förderung Schlesiens sowie die Pflege der schlesischen Tradition und Erweiterung der Selbstverwaltung. Außer einem regen Kontakt und Austausch gibt es noch keine konkreten Projekte.

ASSked: Urząd Ochrony Państwa [Übersetzung: Amt für Staatssicherheit] hat in einem im Jahr 2000 an die Öffentlichkeit durchgesickertem Dossier geschrieben, dass sie die RAŚ als eine potentielle Gefahr für die polnischen Interessen ansieht. Haben Sie keine Angst vielleicht in etwas Unerfreuliches zu geraten und ist eine Bedrohung der polnischen Interessen wirklich begründet?
Starosta: Ich tue nichts Schlechtes oder Schlimmes und habe mir auch nichts vorzuwerfen, wenn ich mich für meine Heimat einsetzte. Viele Polen kennen ihre eigen Geschichte nicht und die Tatsache, dass die jetzige Autonomiebewegung auf die autonome Woiwodschaft Schlesien der Zweiten Polnischen Republik zurückreicht. Die Autonomiebewegung agiert nicht gegen den polnischen Staat, sondern setzt sich mit demokratischen Mitteln für oberschlesische Interessen ein.

ASSked: Die polnische, schlesische Autonomiebewegung hat viele Feinde in Polen. Man spricht vom Verrat am Polentum, das Schlesien nicht schlesisch, sondern immer polnisch war, ist und bleiben wird. Prof. Dorota Simonides sagte, dass diese Forderungen gefährlich seien und es einem Spiel mit einer Handgranate gleichkommen würde. Was sagen Sie zu diesen Äußerungen?
Starosta: Frau Prof. Simonides ist selbst Schlesierin, aber vielleicht hat sie nicht verstanden worum es geht. Man muss seine eigene Identität nicht verraten, nur um den Polen zu gefallen. Bis zum heutigen Tag stecken in polnischen Geschichtsbüchern viele Unwahrheiten über Schlesien, wie eben dass Schlesien schon immer polnisch war. Die Polen sprechen sehr abfällig vom Schlesier als Hanysy, Szwaby (Schwab), Gebels ect.pp. Da kann man doch nicht von Verrat am Polentum sprechen, wenn die Polen die Schlesier als Landsleute nicht akzeptieren und anerkennen.

ASSked: Viele Polen sehen die Autonomiebewegung mit Misstrauen an, weil sie denken, dass sich Schlesien von Polen lösen und letztendlich Deutschland anschließen würde. Sind ihre Befürchtungen berechtigt?
Starosta: Das funktioniert schon aufgrund der fehlenden Grenzen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Oberschlesien nicht und in Niederschlesien leben fast ausschließlich Polen, die aus den früheren Osten Polens umgesiedelt wurden.

ASSked: In einer 2002 durchgeführten Volkszählung gaben mehr als 170 000 Menschen ihre Staatsangehörigkeit als „Schlesisch“ an. Ist es für Sie ein Zeichen, dass man einer Autonomiebewegung in Schlesien durchaus positiv gegenübersteht?
Starosta: Das zeugt zumindest von einem regionalen Zusammengehörigkeitsgefühl. Die schlesische Heimat ist unsere Wurzel. Das ist das Ausschlaggebendste. Es ist wichtiger als jede andere nationale oder nationalistische Anwandlung.

ASSked: Die Reaktionen auf Ihre Vereinsgründung waren recht unterschiedlich ausgefallen. In Deutschland nahm man kaum Notiz davon, in Polen hingegen schlug das Thema hohe Wellen und selbst Władysław Bartoszewski, ehemaliger Außenminister Polens und gegenwärtig Staatssekretär unter Präsident Donald Tusk, hat sich zu Ihrer Initiative geäußert. Wie erklären Sie sich das unterschiedliche Medieninteresse?
Starosta: Nach meiner Einschätzung sind einige polnische Politiker in alte Stereotypen zurückgefallen und haben versucht Ressentiments zu wecken oder sogar ein altes Feindbild wieder aufzubauen. Zum anderen natürlich aus Unkenntnis über unseren Verein, unsere Ziele, die nichts mit Deutschtümelei, Revanchismus oder gar Separatismus zu tun haben. Bei diesen Reaktionen gab es viele Unterstellungen und falsche Veröffentlichungen – und den Journalisten ging es in erster Linie um eine spektakuläre Schlagzeile.

ASSked: Was sind Ihre nächsten Herausforderungen auf dem Weg zur Autonomie Schlesiens oder was planen Sie für die Zukunft?
Starosta: Eine größere Bekanntheit erlangen. Wir wollen für eine mögliche Autonomie, für Verständnis und Toleranz werben und die Vorteile kenntlich machen, die eine solche Autonomie den Menschen bringen kann. Wir müssen allerdings realistisch sein und dürfen uns nicht einbilden, dass überall die Autonomie willkommen oder auch nur akzeptiert ist. Wir müssen versuchen den Menschen die Angst davor zu nehmen. Unser Verein ist entstanden, um Vorurteile zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Polen und Tschechien abzubauen, und dass die Menschen die Schlesier nicht mit Polen gleichsetzen. Wie Sie eben vorhin sagten: kein Deutscher, kein Pole, sondern Schlesier!

ASSked: Herr Starosta, wir danken Ihnen für das Interview!

Das Interview führte Sebastian Buciak, Außen- und Sicherheitspolitische Studienkreise e.V. Berlin

 

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