Zurück zu Die Ursprünge der Autonomie in Oberschlesien

Einleitung

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1.1. Geopolitische Lage Oberschlesiens

1.1.1. Die Entstehung und Entwicklung Oberschlesiens

Oberschlesien, der süd-östliche Teil Schlesiens, liegt im oberen Sammelgebiet der Oder. Die natürliche Abgrenzung zwischen Ober- und Niederschlesien verlief längs des Waldgürtels (Preseka), der zum Schutz vor Angriffen diente. Nach dem Bericht des sogenannten Bayerischen Geografen aus dem 9. Jahrhundert stellte der Waldgürtel eine Grenze zwischen den Stämmen der Dedositzen und der Slensanen im westlichen Teil und der Opolanen und der Golensizen im östlichen Teil dar.1 Der Waldgürtel erstreckte sich von Süden nach Nordosten, zwischen den Flüssen Neiße und Steinau bis zur Oder, dann weiter am rechten Ufer längs des Flußes Stober.2

 

Abb. 1: Die nieder- und oberschlesischen Stämme

Im geographisch-historischen Sinne begann der Prozeß der oberschlesischen Abgrenzung von dem restlichen Teil Schlesiens um die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts. Es kam zu innerpolitischen Machtkämpfen zwischen den schlesischen Piasten. Im Jahre 1202 unterzeichneten die Nachfolger von Wladislaus II. einen Teilungsvertrag, „der das Erbrecht zwischen Breslauer und Ratiborer Fürstenlinie aufhob. Der Vertrag legte den Grundstein für eine eigenständige Entwicklung des oberschlesischen Raumes. Seine Fürsten, die sich bis in das 14. Jahrhundert hinein Herzöge von Oppeln (>>ducatus Opolloniensis<<) nannten, entwickeletn ein eigenes Zusammengehörigkeitsgefühl.”3 Das Oppelner Herzogtum (auch das Oberschlesische Herzogtum genannt) grenzte sich von den in Mittel- und Niederschlesien regierenden Piasten (>>ducatus Slesiae<<) deutlich ab. Das Oppelner Herzogtum umfaßte die Gebiete östlich des Waldgürtels (Preseka) bis zu Kleinpolen. Der Name Oberschlesien wird zum ersten Mal in einem Dokument aus dem Jahre 1462 erwähnt und zwar in der lateinischen Schreibweise Silesia Superior.4

Bis zu den preußisch-österreichischen Kriegen um Schlesien im Jahre 1740 bis 1763 unterlag das oberschlesische Gebiet keinen wesentlichen Veränderungen. Nach den Kriegen kam es zur ersten Teilung Oberschlesiens. Das Teschener und das Troppauer Gebiet blieben bei den Habsburgen, den Rest bekam Friedrich II.

Im Jahre 1816 wird Schlesien in vier Regierungsbezirke aufgeteilt: Breslau, Liegnitz, Reichenbach und Oppeln. Der Regierungsbezirk Oppeln umfaßt das oberschlesische Territorium, welches nach 1740 bei Preußen geblieben ist. Zusätzlich wurde es um die Kreise Neisse und Kreuzburg vergrößert.

In solcher Gestalt ist Oberschlesien bis 1922 geblieben, als es nach der Abstimmung im Jahre 1921 und den drei schlesischen Aufständen (1919-1921) zu einer erneuten Teilung Oberschlesiens kam. Der westliche Teil, etwa zwei Drittel des Gebietes blieb bei Deutschland. Daraus wurde die Provinz Oberschlesien gebildet. Der östliche Teil blieb bei Polen und bildete zusammen mit dem Teschener Gebiet die Schlesische Woiwodschaft. Die Tschechoslowakei bekam ohne Abstimmung das Hultschiner und Troppauer Gebiet.5

Heute existiert keine administrativ-territoriale Einheit, die man mit Oberschlesien gleichsetzen kann. Dieses Gebiet ist Teil der Oppelner und der Schlesischen Woiwodschaft. Ein Teil gehört auch der Tschechischen Republik (sog. Hultschiner und Troppauer Gebiete).

1.1.2. Staatliche Zugehörigkeit Oberschlesiens

Schon im Mittelalter war Oberschlesien, wie überhaupt das ganze schlesische Territorium, ein Gebiet, um daß sich die benachbarten Staaten stritten. Einer der Gründe dafür war die günstige Lage Schlesiens. Durch dieses Gebiet verliefen die Fernhandelswege von Westen nach Osten (von Nürnberg, durch Prag, Liegnitz, Breslau, Oppeln, Krakau, Lemberg bis an das Schwarze Meer) und von Süden nach Norden (zwischen dem Adriatischen Meer und der Ostsee). Oberschlesien wurde als Brückenlandschaft und Begegnungslansdschaft zwischen West- und Osteuropa bezeichnet.6 Dazu gehörte auch die Lage Schlesiens an der Grenze, an der sich die germanischen und slawischen Stämme begegneten. Schlesien war immer ein Randgebiet eines Staates, zu dem es im Verlauf seiner Geschichte gehörte. Das war ein zusätzlicher Faktor, durch den Schlesien zu einem Zankapfel der benachbarten Staaten wurde.7

Anfang des 10.Jahrhunderts schuf der Premyslide Vratislav I. die Grundlage für die politisch, wirtschaftlich und kulturell führende Stellung Böhmens im ostmitteleuropäischen Raum. Ihm gelang es, das südliche Mittelschlesien zu unterwerfen. Sein Sohn Boleslav I. erweiterte und festigte die schlesischen Erwerbungen. Im Jahre 990 nutzte der junge polnische Staat unter Führung des Piasten Mieszko I. den deutsch-böhmischen Konflikt aus und schloß Schlesien an Polen an. Der Nachfolger von Mieszko I., Bolesław I. Chrobry, baute die polnische Herrschaft in Schlesien aus. Nach seinem Tod im Jahre 1025 begann in Polen ein Machtverfall. Von dieser Situation profitierte der böhmische Herzog Bretislav und eroberte Schlesien erneut im Jahre 1038. Der deutsche Kaiser Heinrich III., der die Macht Bretislav einzuschränken versuchte, half Polen, Schlesien im Jahre 1050 wiederzugewinnen.8 In dieser Zeit war Schlesien „als begehrliches Objekt zwischen rivalisierenden Nachbarmächten unablässiger Kriegsschauplatz. Erst nach und nach konnte unter den schlesischen Landesfürsten eine selbständige, die Interessen des Landes berücksichtigende Orientierung einsetzen.“9

Im Jahre 1138, nach dem Tod Bolesławs III. Krzywousty (Schiefmund) kam es zur Teilung Polens in Teilgebiete. Der älteste Sohn Wladislaus II. bekam u.a. Schlesien. Dieses Gebiet begann einen eigenen Weg zu nehmen, bis es zwei Jahrhunderte später zu einer Loslösung Schlesiens von Polen kam. Im Jahre 1335 wird ein Vertrag abgeschlossen, in dem der polnische König Kasimir III. der Große alle Ansprüche Polens auf Schlesien aufgibt. Schlesien wird bis 1526 zu einem Teilgebiet Tschechiens.10 Im Jahre 1526 wird Tschechien in das Habsburger Reich eingegliedert und somit auch Schlesien, wo es bis 1740 verbleibt. Nach den schlesischen Kriegen zwischen Preußen und Österreich in den Jahren 1740 bis 1763, kommt es zu der ersten Teilung Oberschlesiens. Das Teschener und Troppauer Gebiet bleibt weiterhin bei den Habsburgern. Der restliche Teil wird an Preußen angeschlossen. Die preußische Herrschaft dauert in Schlesien bis zum Ende des 1.Weltkrieges.11

1.1.3. Die Oberschlesische Frage im Versailler Vertrag

Nach dem 1. Weltkrieg kam es zu einer Neuordnung Europas. Die im Jahre 1918 wiedergegründeten Staaten Polen und die Tschechoslowakei stellten Ansprüche auf Oberschlesien. Diese Frage wurde im Versailler Vertrag entschieden. In Anlehnung an den 13. Punkt der Friedensbotschaft des amerikanischen Präsidenten Wilson, der die Errichtung eines polnischen Staates aus Gebieten, die von einer unbestreitbar polnischen Bevölkerung bewohnt waren, vorsah, stellte die polnische Seite Ansprüche auf Oberschlesien. Diese Forderungen wurden durch die Ergebnisse der Volkszählung von 1910 untermauert. Diese Volkszählung ergab, daß die Mehrheit der Oberschlesier polnisch als Alltagssprache benutzte, also seien sie, der polnischen Meinung nach, ethnographisch polnisch. Die polnischen Forderungen wurden durch den französischen Diplomaten Jules Martin Cambon unterstützt und es kam dazu, daß Oberschlesien im ersten Entwurf des Versailler Vertrages am 7. Mai 1919 ohne Abstimmung an Polen fallen sollte, ausgenommen das Hultschiner und Troppauer Gebiet, welches der Tschechoslowakei zugedacht war.12 Die deutschen Diplomaten lehnten den Vertrag ab. Sie argumentierten, daß man die Sprache nicht mit der nationalen Identität gleichsetzen könne. Es kam zu zahlreichen Protestkundgebungen in Oberschlesien, die sich gegen den Versailler Vertrag richteten. Daraufhin änderten die Siegermächte den Versailler Vertrag, und am 14. Juni 1919 beschlossen sie, daß in Oberschlesien (mit Ausnahme der Kreise Neisse, Grotkau und Falkenberg sowie des westlichen Teils des Kreises Neustadt) und im Kreis Namslau (Niederschlesien) eine Abstimmung über die Zugehörigkeit zu Deutschland oder zu Polen entscheiden werde. Der Vertrag wurde am 28. Juni 1919 unterschrieben.13

Die Tschechoslowakei bekam ohne Abstimmung das Hultschiner Ländchen. Nach Auseinandersetzungen mit Polen im Jahre 1920 wurde die Grenze entlang des Flußes Olsa bestimmt. Hultschin bildete zusammen mit Troppau eine tschechische Verwaltungseinheit.14

1.1.4. Oberschlesische Abstimmung und ihre Folgen

Die Abstimmung in Oberschlesien wurde auf den 20.März 1921 vorbestimmt. Am 11. Februar 1920 übernahm die Interalliierte Regierungs- und Plebiszit-kommission die Verwaltung in Oberschlesien. Sie bestand aus französischen, britischen und italienischen Einheiten. General Henri Le Rond aus Frankreich wurde zum Präsidenten dieser Regierung bestimmt.15

Die deutsche und polnische Propaganda versuchte mit allen Mitteln, die unentschlossenen Oberschlesier auf ihre Seite zu ziehen. Auf beiden Seiten kam es nicht selten zu Gewaltakten. Während der Zeit des Plebiszitkampfes sind mehr als 3.000 Menschen ums Leben gekommen (Die Opfer des 2. Aufstandes wurden nicht mitgerechnet).16 Sowohl die polnische als auch die deutsche Seite übertrafen sich in Versprechungen. Beide Seiten versprachen u.a. eine gewiße Autonomie für Oberschlesien: am 15. Juli verabschiedete der polnische Sejm das Organische Statut der Schlesischen Woiwodschaft, das Oberschlesien zusammen mit dem Teschener Land die wirtschaftliche und politische Selbständigkeit garantierte; die preußische Landesregierung errichtete am 14. Oktober 1919 aus dem Regierungsbezirk Oppeln die Provinz Oberschlesien; am 27. November 1920 verabschiedete der deutsche Reichstag ein Gesetz, das zwei Monate nach der Abstimmung ein Referendum in Oberschlesien vorsah, in dem über die Bildung eines oberschlesischen Bundeslandes mit einer breiten Selbstverwaltung entschieden werden sollte.17

Am 20. März 1921 nahmen an der Abstimmung 1.190.637 Personen teil, d.h. 97,5% der Stimmberechtigten. Darunter waren ca. 190.000 der Wahlberechtigten die sogenannten Emigranten. Das waren Personen, die in Oberschlesien geboren worden waren, aber zur Zeit der Abstimmung außerhalb Oberschlesiens wohnten. Sie wurden mit Zügen sowohl aus Deutschland wie auch aus Polen geholt. Die Mehrheit dieser Personen kam jedoch aus dem deutschen Gebiet.18

Für das Verbleiben Oberschlesiens bei Deutschland stimmten über 59% der Wahlbeteiligten, für den Anschluß an Polen dagegen über 40%. Deutschland gewann in den Kreisen Beuthen, Cosel, Gleiwitz, Hindenburg, Kattowitz, Königshütte, Kreuzburg einschl. Namslau, Leobschütz, Lublinitz, Neustadt (Oberglogau), Oppeln, Ratibor und Rosenberg. Die Polen gewannen dagegen nur in Kreisen Groß Strehlitz, Pleß, Rybnik und Tarnowitz. Man muß jedoch zugeben, daß in den ländlichen Gemeinden des östlichen Abstimmungsgebietes die Mehrheit der Bevölkerung für Polen gestimmt hatte.19

„Das Abstimmungsergebnis, das sowohl von Deutschen und Polen als auch von den Alliierten unterschiedlich interpretiert wurde, löste einen heftigen Konflikt um die künftige Grenzenziehung aus.“20 Die eine Seite stellte Ansprüche, die die andere Seite nicht annehmen wollte. Auch die Alliierten konnten sich untereinander nicht einigen.21 Als der polnische Plebiszitkommissar Wojciech Korfanty erfuhr, daß die Alliierten zu dem englisch-italienischen Teilungsvorschlag neigten (Polen sollte nur die östlichen Teile der Kreise Kattowitz, Tarnowitz, Lublinitz und Rosenberg sowie die Kreise Pleß und Rybnik bekommen), rief er in der Nacht vom 2. zum 3. Mai 1921 den dritten schlesischen Aufstand aus. Korfanty forderte ein Gebiet, das ca. 60% des Abstimmungsgebietes umfaßte (die deutsch-polnische Grenze sollte teilweise entlang der Oder verlaufen).22

Nach der Beendigung des dritten Aufstandes wurde die oberschlesische Frage durch die Interalliierte Kommission erneut analysiert. Nach fünfmonatigen Verhandlungen wurde Oberschlesien am 20. Oktober 1921 entlang der sogenannten Sforza-Linie aufgeteilt. Polen erhielt zwar nur ein Drittel des Abstimmungsgebietes (Kreise Pleß, Kattowitz und Königshütte, den größten Teil der Kreise Tarnowitz, Beuthen, Rybnik sowie die südlichen Teile der Kreise Hindenburg, Ratibor und Lublinitz), dies war aber wirtschaftlich gesehen der wertvollste Teil Oberschlesiens.23

Zum Schutz der Minderheiten, die auf beiden Seiten geblieben waren, wurde am 15. Mai 1922 zwischen Polen und Deutschland die Genfer Konvention abgeschlossen. Sie sollte 15 Jahre gelten.24

Die Grenze, die Oberschlesien im Jahre 1922 in zwei Teile aufgeteilt hatte und so das Ende der Einheit Oberschlesiens darstellte, wurde in der deutscher Literatur oft als die blutende Grenzebezeichnet.

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